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Verdacht gegen hessischen Verfassungsschützer
Veröffentlicht von Von Peter Blechschmidt und Marc Widmann in Döner Morde • 15.11.2011
Als die Zwickauer Zelle in einem Kasseler Internet-Café Halit Y.
hinrichtet, surft ein hessischer Verfassungsschützer dort im Netz. In
seiner Wohnung findet die Polizei später Hinweise auf eine
rechtsradikale Gesinnung - doch die Ermittlungen gegen den Mann
werden eingestellt. Dabei bleiben viele Fragen offen.
Es war ein schneller, grausamer Mord am 6. April 2006 im Kasseler "Tele-
Internet-Café". Gegen 17 Uhr wurde Halit Y., der im Laden nur einige
Stunden lang seinen Vater vertrat, mit zwei Kopfschüssen hinter der
Theke regelrecht hingerichtet. Nebenan surften zu dieser Zeit sechs
Menschen im Netz, fünf davon meldeten sich spätestens nach einem
Zeugenaufruf der Polizei.

Nur einen Anwesenden mussten die Fahnder mühsam über die Analyse
der Festplatten aufspüren: jenen Mann mit sehr kurzen hellen Haaren und
Brille. Es war ein Beamter des hessischen Verfassungsschutzes.
Die Ermittler stießen auf Seltsames
Schon dieses Verhalten, dass er sich nicht selbst meldete, machte den
Beamten verdächtig. Er arbeitete als V-Mann-Führer der Wiesbadener
Behörde quasi im Außendienst, für das Sachgebiet
Ausländerextremismus. Er war nun Verdächtiger in dem Mordfall, kein
Zeuge mehr. Die Ermittler durchsuchten seine Wohnung - und stießen auf
Seltsames.
Der Mann vom Verfassungsschutz entpuppte sich, wie es in Berliner
Sicherheitskreisen heißt, als Rechtsradikaler, der in seinem Heimatort
Hofgeismar angeblich sogar den Spitznamen "der kleine Adolf" trug. Bei
der Durchsuchung seiner Wohnung wurden unter anderem Abschriften
aus Hitlers Mein Kampf gefunden, so erzählen es Berliner Experten.
Offen blieb zunächst, ob die womöglich rechtsradikale Gesinnung des
Mannes bei seinen Vorgesetzten bekannt war. Fachleute zeigten sich
verwundert, da solche Beamte regelmäßig auf ihre Zuverlässigkeit
überprüft werden. In dem Mordfall ermittelte die Staatsanwaltschaft in
Kassel, sie stellte das Verfahren gegen den Verfassungsschützer im
Januar 2007 ein.
"Er hatte einzelne Schriftstücke, die das Dritte Reich betrafen", sagte
Behördensprecher Götz Wied am Dienstag, "es war aber nicht so, dass
wir dachten, jetzt stehen wir in der Wohnung eines Neonazis." Ins Detail
ging Wied nicht. Man habe sehr breit recherchiert und versucht, das
Umfeld des Verdächtigen auszuleuchten, die "Stationen seines Lebens
abzuklappern". Verbindungen zu rechten Kreisen habe man dabei nicht
gefunden, sagte der Staatsanwalt. "Was da war, hat nicht dazu geführt,
dass er verdächtig war."

Viele offene Fragen
Auch der hessische Verfassungsschutz stieß bislang auf keinerlei
Verbindungen seines früheren Mitarbeiters zur rechtsextremen Gruppe
NSU, die als verantwortlich für die Serie von neun Morden an
überwiegend türkischen Ladeninhabern in den Jahren 2000 bis 2006 gilt.
In der Wohnung des hessischen Beamten fanden die Fahnder 2006 zwar
Schusswaffen, die er aber offenbar legal besaß. Für vier Taten der
sogenannten Dönermord-Serie konnte der Verfassungsschützer ein
"hundertprozentiges Alibi" vorweisen, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.
Für die vier weiteren Taten habe er Alibis genannt, die sich nicht endgültig
belegen ließen. Sogar sein Handy habe man überprüft, ob es sich zu den
Tatzeiten der Mordserie an Funkmasten nahe der Tatorte angemeldet
habe. Damals ohne Erfolg.

Alles Zufall?
Doch bleiben viele Fragen in dem Fall offen. So endete die Mordserie
2006 genau nach den Ermittlungen gegen den Verfassungsschützer.
Zufall? So fanden die Ermittler in seiner Wohnung ein Fachbuch über
Serienmorde, herausgegeben von einem Polizeiverlag. Normale
Dienstlektüre? So sagte der Beamte bei seiner Vernehmung, er habe sich
nicht selbst gemeldet, weil ihm die ganze Sache peinlich sei. Schließlich
suchte er im Internet-Café den Ermittlungen zufolge Kontakt zu Frauen -
ohne dass seine eigene davon etwas mitbekommen sollte. Glaubhaft?
Andererseits gibt es Details, die bezweifeln lassen, dass der frühere
Verfassungsschützer etwas mit den Morden zu tun hat. An jenem Tag im
Internetcafé gab er im Netz seine private Telefonnummer ein. Das tut
gewöhnlich kein erfahrener Sicherheitsbeamter, der seine Spuren
verwischen will. Außerdem legte er offenbar noch artig das Geld auf den
Tresen, ehe er das Café verließ: Einen Euro kostete die Stunde im Internet.
Inzwischen arbeitet der zeitweise freigestellte Beamte wieder für den
hessischen Staat. Nachdem sein Verfahren Anfang 2007 eingestellt
worden war, versetzte man ihn. Er ist jetzt beim Regierungspräsidium in Kassel.



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