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Winter extrem - "Neue kleine Eiszeit ist jetzt möglich"
Veröffentlicht von Von Rickmer Flor, wetter.info in Klima • 13.12.2010
Alle Welt spricht von der globalen Erwärmung - doch in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern der Welt kämpfen die Menschen derzeit mit den Widrigkeiten extremer Kälte. Und tatsächlich: "Das ausgehende Jahr 2010 wird das kälteste seit zehn Jahren in Deutschland", erklärt Thomas Globig vom Wetterdienst Meteomedia im Gespräch mit wetter.info. Und es könnte noch dicker kommen: "Durchaus möglich, dass wir am Beginn einer kleinen Eiszeit stehen", so der Meteorologe. Sogar das arktische Eis könnte sich weiter nach Süden ausbreiten. Schon jetzt steht fest: Die Temperaturen in Deutschland lagen dieses Jahr mit 8,1 Grad um 0,2 Grad unter dem langjährig gemessenen Mittel von 8,3 Grad. "Ich fürchte, wir werden bis zum Jahresende noch deutlich tiefer landen", sagt Globig. Das langjährige Mittel ist genau genommen das Mittel aller deutschen Messstationen aus den Jahren 1961 bis 1990. So kalt wie seit 100 Jahren nicht In Berlin gab es Anfang Dezember den absoluten Kälterekord, "seit 100 Jahren war es hier nicht so kalt wie in der ersten Dezember-Dekade", so Globig. Das gelte auch für andere Regionen Deutschlands. Doch warum ist es ausgerechnet jetzt so knackig kalt? Hat das womöglich mit dem Klimawandel zu tun? "Da bin ich sehr skeptisch", entgegnet Globig. Vor einigen Jahren, als wir in einer Periode milder Winter steckten, warnten nicht wenige Klimaforscher, der Wintersport sei in den deutschen Mittelgebirgen wegen der Erwärmung bald nicht mehr möglich. "Nun heißt es plötzlich, die kalten Winter seien eine Folge der globalen Erwärmung - ein fragwürdiger Umkehrschluss", so Globig.
"Unvorstellbare Schneemengen" in Berlin Globig appelliert an unser Langzeitgedächtnis - und erinnert an eine längere Phase kalter und extrem schneereicher Winter in den sechziger und siebziger Jahren. So fiel Anfang März 1970 in Berlin ein halber Meter Schnee, in Potsdam sogar 70 Zentimeter. "Aus heutiger Sicht waren das unvorstellbare Mengen." Dann folgte eine Periode milderer Jahre, und "wahrscheinlich verbreitete sich der Eindruck: Richtigen Winter gibt's nicht mehr in Deutschland", meint Globig. "Das war aber eine Fehleinschätzung." Man wurde unvorsichtig, und in der Folge ging den Räumdiensten im letzten Winter in kürzester Zeit das Streusalz aus, und in diesem Jahr fehlten den Flughafenbetreibern die Enteisungsmittel für die Flugzeuge. In Berlin kam der S-Bahn-Verkehr im Dauerfrost zum Erliegen, und auch die Hochgeschwindigkeitszüge der Bahn streikten. "Unsere moderne, hochtechnisierte Welt ist mit der Wintersituation völlig überfordert", sagte Globig. Schon der letzte Winter war extrem hart Viele seien dem Irrglauben erlegen, die meist milden Winter der vergangenen zehn Jahre würden sich weiter fortsetzten. Doch schon der Winter 2009/2010 - mit seinen langen Frostperioden und viel Schnee bis weit ins Frühjahr hinein - habe bei vielen einen Aha-Effekt ausgelöst. "Diese Aha-Erlebnis könnte in diesem Jahr noch deutlicher ausfallen", prophezeit Globig. Für die deutliche Abkühlung sieht Globig zwei Hauptursachen: Zum einen die zyklischen Veränderungen bei den großen Luftströmungen über dem Atlantik, und zum anderen die Schwankungen der Sonnenaktivität."Jeder hat schon mal von dem Hoch über den Azoren und dem Tief über Island gehört", so Globig. Die wichtigste Frage für die Wettervorhersage lautete viele Jahre: "Wie groß sind die Luftdruckunterschiede zwischen beiden Gebieten, wie stürmisch wird es also - und wieviel milde Luft wird in der Folge vom Atlantik nach Europa geschaufelt?" "Beide Druckgebiete existieren derzeit gar nicht", erklärte Globig. Im Gegenteil: Über den Azoren befindet sich tiefer Luftdruck und über Island ein Hoch. "Die Wetterwelt auf dem Atlantik ist total verdreht", sagte Globig. Nun hat kalte Luft aus polaren Gebieten allen Platz der Welt nach Europa einzuströmen - und genau das passiert derzeit. "Normale" Schwankungen bei großen Strömungen
"Diese Veränderungen bei der sogenannten 'Atlantischen Oszillation' sind völlig normal - nur im Detail schwer vorherzusagen", erklärte Globig. 2007 war mit Sturmtief "Kyrill" der Höhepunkt der Strömungsaktivität vom Atlantik in den europäischen Raum. "Seither ist es ruhig über dem Meer geworden", so der Meteorologe. Die Tiefs über dem Atlantik sind immer schwächer geworden. Diesen Effekt habe es auch schon in früheren Jahren gegeben, allerdings in unregelmäßigen Abständen. Die Forschung wisse noch nicht viel darüber, "hier liegt aber der Schlüssel zum besseren Verständnis der Jahreszeiten", meint Globig. Mit den niedrigen Temperaturen könnte es durchaus noch ein paar Jahre so weiter gehen, vielleicht Jahrzehnte. Auch noch eisigere Kälte sei denkbar. "Das hat's alles schon mal gegeben und mit natürlichen Klimaschwankungen zu tun", sagte Globig. Wir könnten sogar an dem Beginn einer kleinen Eiszeit stehen, "die Wahrscheinlichkeit ist zumindest gegeben". Dafür spreche auch die aktuelle Entwicklung bei der Sonnenaktivität. Diese habe den Zenit einer fast 200 Jahre andauernden Hochphase überschritten und wird in den nächsten Jahrzehnten immer mehr abnehmen. Um die Jahre 2040/2050 rechnen Wissenschaftler mit einem neuen sogenannten Solarminimum, also mit sehr wenig Zufuhr von Sonnenenergie in die Erdatmosphäre.
Ausbreitung des arktischen Eises? "Ich halte es sogar für denkbar, dass sich das arktische Eis in den nächsten Jahren bedeutsam ausbreitet", so Globig. Der Einfluss der Sonnenaktivität auf das Klima sei lange Zeit sträflich unterschätzt worden.
Alleine die letzten zwei Wochen waren in England die kältesten seit dem vorletzten Solarminimum vor vielen hundert Jahren. "Wie es aber tatsächlich langfristig kommt, stellt sich in den kommenden fünf bis zehn Jahren heraus", glaubt Globig. Doch eines erscheint dem Wetterexperten schon jetzt sehr wahrscheinlich: "Wir werden so einige Klimavorhersagen in die Tonne treten müssen".



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